Kuba singt und swingt – trotz Mangelwirtschaft
11 Jahre hat seine Frau auf dem Stuhl im Hof gesessen, zu nichts mehr fähig, als zu atmen. Doch Dimitrios – sein Name klingt nicht wirklich kubanisch, hat sich nicht beklagt – Vor vier Jahren ist sie gestorben, nun ist der 82-jährige allein. Sein Sohn sieht nach ihm, doch immer noch ist er selbst in der Lage den Bauernhof zu bewirtschaften und für sich selbst zu sorgen. Ein Charmeur ist er ebenfalls, der stolz und gerade gehende Landwirt, der mir bereitwillig sein Heim öffnet um mir, der Europäerin, zu zeigen, wie er lebt. Das Angebot zu bleiben und mit ihm das selbst zubereitete Essen zu kosten, muss ich leider ablehnen, denn die Gruppe wartet auf mich. Doch das Lied, das er mir singt und die Rose, die er mir zum Abschied vom Strauch schneidet und schenkt, nehme ich gerne mit.
Diese Form der Gastfreundlichkeit erlebe ich fast durchgängig, während meiner Rundreise durch Kuba. Rund 3 000 km legen wir, unsere 10-köpfige Gruppe plus Reisebegleiterin und lokalem Führer, zurück. Und jeder Stopp, jede Etappe auf dieser Tour, hat ihre Besonderheiten. Havanna fasziniert mit dem morbiden Charme verfallender Häuser und alter, chromglänzender und röhrender Autos. Die unverwüstlichen Schlitten sind inzwischen meist alle älter als ihre Besitzer, und jedes Museum der Welt würde sich vermutlich glücklich schätzen, manch seltenes Modell in seiner Sammlung zu haben.
In Pinar del Río beeindrucken mich die bunten, zum Teil wunderbar restaurierten Kolonialbauten genauso, wie die fast leeren Regale in so manchem Geschäft. Mit Bezugsscheinen erhalten die Einheimischen hier staatlich subventionierte Ware. Doch wie wir es noch aus DDR-Zeiten kennen, gibt es so manches mal nur dies und nicht das. Mangelwirtschaft wird zum geflügelten Wort in unserer Gruppe. An dem aus der Guave gewonnenen Guayabita-Likör, den wir uns in der Likörfabrik Casa Garay schmecken lassen, herrscht allerdings kein Mangel.
Natur im Überfluss, das ist Valle de Vinales. Wir wandern durch sattgrüne Felder. Vorbei an Bananenstauden und Maisfeldern. Das Auge erfreut sich an kleinen Häusern mit Schaukelstühlen auf den Veranden und an im Wind flatternder Wäsche. Im Tal von Vinales gedeiht der beste Tabak der Welt und auch Kaffee wird angebaut und geröstet. 25 Jahre ist es her, dass ich Tabak geschmeckt habe. Heute nehme ich mal wieder einen Zug. Und siehe da, er schmeckt. Ein weiterer Anziehungspunkt in der Region ist das Mural de la Prehistoria, ein 1961 vom mexikanischen Künstler Leovigildo González Morillo auf einem Kalkfelsen geschaffenes, 120 m hohes und 180 m breites Kunstwerk. Da sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten lässt, lasse ich das Wort "Kunstwerk" hier einfach mal so stehen.
Trinidad ist mir die liebste, die schönste, die herzlichste, die swingendste der kubanischen Städte. Trinidad – das ist ein Traum in Pastellfarben: zartes Gelb, Rosa, Hellblau, Hellgrün – Häuschen, wie von einem Maler auf eine Leinwand dahingetupft. Hohe Fenster mit kunstvoll gestalteten schmiedeeisernen Gittern davor. Prächtige Paläste und Villen, die einst die Zuckermagnaten errichteten – damals, als mit Zuckerrohr, Tabakanbau, Viehzucht und nicht zuletzt Sklavenhandel viel Geld zu verdienen war. Und heute? Heute sorgen Musikbands in dem Labyrinth aus engen Gassen, kleinen Plätzen mit holprigem Kopfsteinpflaster und herrlichen Innenhöfen für Leichtigkeit und Lebensfreude. Das temperamentvolle Leben der Kubaner und ihr Charme begeistern mich. "Hay más tiempo que vida" lautet eine Redensart: Es gibt mehr Zeit als Leben, Zeit im Überfluss! Ich lasse mich anstecken von ihrer Lebensart, von ihrer afroamerikanischen Musik, dem Salsa, Trova, Son und dem Bolero.
Und dieser Sound zieht auch durch die Straßen von Santiago de Cuba. "Ohne Musik kein Leben" ist das Motto dieser Stadt, die als Wiege aller kubanischen Rhythmen gilt. Sie hat so großartige Musiker hervorgebracht wie den Buena Vista Social Club oder das Orchester Los Van Van, Gewinner des lateinamerikanischen Grammy. Und wieder wandle ich auf den Spuren der Musik, besuche die Casa de la Trova, schmelze dahin bei schmachtenden Balladen und schwinge die Hüften beim fröhlichen La Cucaracha.
Jetzt fehlen nur noch Sonne, Meer und Strand. All dies finden wir in Varadero, dem touristischen Eldorado Kubas – auch wenn die Sonne sich hinter den Regenwolken versteckt hat. So mancher Tourist bezeichnet den Strand von Varadero als den weltbesten. Der glitzernde weiße Sand, die kühle tropische Brise und das stille Atlantikwasser bieten für diese Aussage auch genügend Gründe. Für sportlich Ambitionierte, bietet Varadero, was das Herz begehrt. Neben dem Schwimmen, Tauchen und Segeln kann man auch Kitesurfen oder Golfspielen. Ich habe mich für Strandspaziergänge und Sonnenliegenorgien entschieden. Mit einem eisklirrenden Mojito, einem guten Buch und langer Weile, lasse ich meinen Kubaurlaub ausklingen.
In dem Bewusstsein "ich komme wieder" fällt auch das Abschiednehmen nicht wirklich schwer. Von den Kubanern habe ich gelernt, dass Lebensfreude, Leichtigkeit, Improvisation und vor allem Musik jede Lebenslage erträglich machen. Der 82-jährige Dimitrios hat mir dies am eindrücklichsten vermittelt und die in meinem Buch getrocknete Rose wird mich stets daran erinnern.
Sylvia Bieber
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