Unterwegs im Land der Nomaden

Unterwegs im Land der Nomaden

Rund ein Drittel der knapp drei Millionen Einwohner der Mongolei zieht als Nomaden durchs Land. Zu Besuch bei Menschen, die sich ihren Lebensstil wie zu Dschingis Khans Zeiten bewahrt haben.


MN_AgathaMazur_frau-mit-2-kindern_4_FOC Den Iren sagt man nach, 50 verschiedene Grüntöne unterscheiden zu können und hartnäckig hält sich die Mär, dass die Inuit angeblich 100 verschiedene Wörter für Schnee kennen. Würden die Mongolen diese Reihe fortführen, müssten sie demnach 150 unterschiedliche Wörter für Steppe haben. Wer einmal dieses Land bereist hat, das viermal größer als Deutschland zwischen den beiden Großmächten Russland und China eingekeilt ist, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ob sattgrüne Wiesen, gelbe Grassteppe oder braunes Felsengebirge: Die Mongolei wartet mit vielen verschiedenen Landschafts- und Steppentypen auf. Doch so leer und unangetastet die Landschaft auch scheint: Nomadenfamilien trifft man im ganzen Land.

Sie lassen sich mit ihrem Hab und Gut an einem Fleck Erde nieder und brechen alle paar Wochen ihre Zelte wieder ab, um den Weideplatz zu wechseln. Die Mongolen lebten schon von Beginn an als Nomaden. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Gemüse und Getreide anbauen lässt das Klima nur äußerst begrenzt zu und nach wenigen Wochen ist das Gras von den Tieren abgeweidet.

Wurde zu sozialistischen Zeiten die Bevölkerung in die Städte gelockt, sind viele Familien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder zu ihrem ursprünglichen Lebensstil zurückgekehrt. Gemeinsam mit ihren Herden von Schafen, Ziegen, Pferden, Rinder, Yaks und in wärmeren Regionen auch Kamelen ziehen sie innerhalb der Weidegebiete um. Jedes „Bundesland“ – Aimag genannt – ist in vier Weidegebiete unterteilt, eins für jede Jahreszeit.
MN_AgathaMazur_jurte-innen_3_FOC Das Innenleben einer Jurte: Herzstück ist der große Holzofen, an den Wänden hängen die Quarkstücke zum trocknen (Aruul auf mongolisch).

Doch längst läuft es nicht mehr so traditionell wie noch vor 30 Jahren, auch bei den Nomadenfamilien ist der Fortschritt behutsam eingekehrt: Statt mit dem Pferd treibt man die Tiere häufig mit dem Motorrad zusammen, etwas Strom liefert ein Sonnenkollektor und Handys und Fernseher gehören heute praktisch zur Grundausstattung einer jeden Jurte. Auch ein Nomade möchte sich schließlich informieren, was in seinem Land vor sich geht. Gerade am 26. Juni war es wichtig, denn an diesem Tag wählten die Mongolen ihren neuen Präsidenten.

Wir sind zu Besuch bei einer Familie in der nördlichen Provinz Bulgan. Im Hunnental ist das Gras saftig und grün, die Nomaden befinden sich in ihrem Sommerlager. Die kleinen Kinder haben uns sofort entdeckt und schauen uns neugierig an. Die Familie ist anfangs zurückhaltend, taut aber schnell auf und bittet die Reisegruppe zu sich in die Jurten. Der Sohn hält ein Plakat mit dem amtierenden Präsidenten Tsachiagiin Elbegdorj von der demokratischen Partei hoch. Ihn will er am 26. Juni wiederwählen. Dazu wird die Familie in die nächste Kreisstadt fahren, wo sie registriert ist.

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Was Elbegdorj denn speziell für die Nomaden tue, frage ich. Unsere Reisebegleitung erklärt, dass die Bevölkerung einfach genug von der kommunistischen Partei und deren Vertreter habe, die lange an der Macht waren. „Die haben alles nur in die eigene Tasche geschaufelt“, lautet der lapidare Kommentar der Dolmetscherin.

Gastfreundlichkeit ist eins der obersten Gebote in der Mongolei, daher bieten die Nomaden reichlich zu essen an: Käse in allen Variationen, vom Yak, von der Ziege und vom Schaf, dazu wird Milchschnaps und vergorene Stutenmilch (Ayrag) gereicht. Es ist Tradition, den Familien Geschenke mitzubringen: Die Kinder freuen sich über Spielzeug und Süßigkeiten, den Erwachsenen bringt man Alltagswaren wie Hygieneartikel oder Alkohol mit.

Mittlerweile sind wir in der Wüste Gobi: Die ersten Kamele kreuzen unseren Weg. Sie werden vor allen Dingen als Transportmittel genutzt, doch werden sie auch geschlachtet.

MN_AgathaMazur_pec3a4sidentschaftskandidat_1_FOC Er ist ihr Favorit: Präsidentschaftskandidat Tsachiagiin Elbegdorj. Er hat die Wahl am 26. Juni gewonnen und bleibt für eine zweite Legislaturperiode im Amt.


Aus der Stutenmilch erhält man eine in der Hitze wunderbar erfrischende Buttermilch. Bis zu 40 Liter Wasser können die Tiere auf einen Schlag trinken. Doch anders als der weit verbreitete Glaube wird das Wasser nicht in den beiden Höckern gespeichert, sondern im Bauch. Die Höcker dienen lediglich als Fettreserve.

Es ist ein hartes Leben, was die Nomaden führen: Vollkommen angepasst leben sie von dem, was die Natur hergibt. Stress und Leistungsdruck wie in den westlichen Nationen kennen sie nicht, dafür sind sie der Natur und dem Klima ausgeliefert. Das komplette Leben dreht sich um die Tiere: Sie sind Besitz und Reichtum der Bevölkerung. Die nächste Nomadenfamilie im Khangaigebirge hat eine stattliche Herde. Wieviele Tiere das sind, möchte ich wissen. Unsere Dolmetscherin ziert sich, diese Frage zu übersetzen. Es sei unhöflich, so offen nachzufragen. „Die Tiere sind das Kapital der Nomaden. Dich würde man doch auch nicht fragen, wieviel Geld du auf deinem Konto hast“, erklärt sie. Das leuchtet ein. Passend dazu gibt es in der Mongolei die Regelung, dass eine Familie erst ab einer Herdengröße von 250 Tieren Steuern zahlen muss, wobei ein Kamel oder ein Yak so viel wert ist wie fünf Schafe oder Ziegen. Es ist Tradition, einem jungen Brautpaar 249 Tiere zu schenken – damit das erste Jahr steuerfrei bleibt.

Agatha Mazur

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